Die andere Seite

Heute ist sie fällig. Die andere Seite von dieser Seite der Lyngenhalbinsel. Mit dem nördlichsten Punkt der Halbinsel. Im Sommer 2013 schafften wir es nicht dorthin. Aber heute ist es soweit. Wobei: dass das über 60 km Weg sind überrascht mich heute Morgen dann schon ein wenig.  Wie häufig hat das Vorhaben eine Sonnen- und eine Schattenseite. Die Schattenseite durchfahre ich. Die ist bedingt durch die Berge, die der Sonne im Weg stehen. Die Sonnenseite des Tages ist die komplett andere Landschaft und Aussicht, die sich mir erschliesst. Der nördliche Teil der Lyngenhalbinsel ist sehr dünn besiedelt. Die Samen sind omnipräsent. Sei es mit den Ortsnamen oder den Informationstafeln für Touristen. Die sind alle, neben norwegisch, in der samischen Sprache beschriftet. Rentiere hat es offenbar viele. An der Strasse warnt zuerst ein Schild vor Rentieren und nur wenig später eine andere Tafel vor Elchen. Später sehe ich eine kleine Rentierherde. Seit gestern weiss ich, dass die Elche noch nicht seit ewigen Zeiten auf der Halbinsel leben. Die sind eingewandert. Die Population könne problematisch gross werden sagte mir der Besitzer der Ferienwohnung. Um den Bestand zu regulieren, schiessen sie jedes Jahr mehrere Elche. 

Kurz vor Svensby – ein wunderschöner Morgen
Lofotenstyle 😉
rechts ein Windkraftwerk – ob wir Schweizer von hier Strom beziehen?


Zurück zum nördlichsten Punkt. Dort steht ein kleines Leuchtfeuer (von selbigen gibt es in ganz Norwegen etwa 2000 Stück) und eine ganz kleine Hütte. Meine Wanderung beginnt am Ende der Strasse auf einem Parkplatz und führt mich rund 4 km der Küste entlang zum Leuchtturm. Die Aussicht ist grandios, der Weg stellenweise eisig, aber gut zu gehen. Bloss ein Problem habe ich. Als ich am Ende des Weges angelangt bin, hinten kommt bloss noch der Lyngenfjord, stehen da weder ein Leuchtfeuer noch eine Hütte. Ein Blick auf die Karte hilft. Ich muss noch über einen Hügel oder um den Hügel rum und dann absteigen. Und siehe da: die beiden Gebäude erscheinen. Jetzt, im Winter, ist das ein ziemlich schattiges und kalter Ort. Ich kann mir vorstellen, dass eine milde Sommernacht an diesem Platz traumhaft sein muss. 


Was für ein Ensemble
Die Hütte ist offen und ich schätze es, mein Eingeklemmtes windgeschützt essen zu können. Draussen hat es etwa – 5 Grad und es geht ein giftiger Wind. Drinnen ist es gefühlt doch einiges wärmer. Aber sicher nicht 15 Grad wie das Thermometer an der Wand anzeigt. Es hat nämlich keine Heizung und das Hüttchen ist ein einfacher Bretterschopf. 

Der Punkt heisst „Lyngstuva“ und hat eine Geschichte, die bis in die Steinzeit zurückgeht. Schon im Mittelalter sind die Samen in der Gegend sesshaft gewesen. Gerade an diesem Platz war beispielsweise im 14. Jahrhundert eine Zollgrenze der Samen mit Russland. Gewohnt haben sie in einfachsten Torfhütten. Oberhalb des Ufers haben sie in steinernen Öfen Walfett erhitzt, daraus Öl gewonnen und das, sofern sie es nicht selber brauchten, verkauft und gehandelt. Ich stehe so da, finde es windig und kalt und kann mir wirklich nicht ausmalen, mit einfachsten Kleidern in einer Torfhütte zu hausen, nur mit einem Feuer für das Kochen und Heizen? Wir sind wohl wirklich ziemliche Warmduscher geworden. Ich streife draussen herum, betrachte dies und das und frage mich, wie jemand dazu kommt, perfekt geschliffene Steine hier ans Ende der Insel zu schleppen und sie auf einen Haufen zu legen. Es hat hier eigentlich schon genug Steine. Welche Geschichte steckt hinter den Steinen? 

Beim Rückweg wandere ich einige Zeit in den Sonnenuntergang hinein. Um kurz nach 14.00 Uhr ist die Sonne untergegangen und ich bin froh, die verschwitzten Kleider wechseln zu können und trocken ins Auto zu steigen. Dieser Ausflug hat sich sehr gelohnt und mir eine Seite der Lyngenhalbinsel erschlossen, die ich noch nicht kannte. 

der Blogger im Sonnenuntergang um 13.37 Uhr 🌞
Jetzt steige ich in meinen letzten Abend ein und bin gespannt, ob ich vielleicht nochmals Nordlichter sehen werde. Es hat schon ziemlich viel Bewölkung. Auf Sonntag kommt schlechtes Wetter. Schauen wir mal. Die letzte Nacht blieb es jedenfalls ruhig und hatte ebenfalls Wolken. 

Ich habe auf Wikipedia gesucht, ob es zu „Lyngstuva“ Informationen gibt. Die gibt es tatsächlich – hier. Die Sprache hat mich gewundert. Es handelt sich um Cebuano – die Sprache wird auf den Philippinen gesprochen. Offenbar hat von dort jemand einen Wikipedia-Artikel zum Ort hier oben geschrieben. Ziemlich speziell. Oder ist die Welt wirklich ein Dorf?

Die Bildersammlung der Lichterwoche liegt hier.

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