… steht langsam aber sicher der Herbst vor der Tür. Oder gar der Winter? Jedenfalls erreichen uns von meinem Bruder mit seiner Partnerin, die gerade in Kanada unterwegs sind, Bilder die sehr nach Weihnachten aussehen. Es hat in den Bergen geschneit, die Tannen sind weiss und ich bin froh, ist es hier noch nicht so weit.
Bei uns sind die Wiesen wieder grün und die sommerlichen Brauntöne gewichen. Trotzdem klopft der Herbst langsam an. Am Morgen liegt eine Nebelbank im Prättigau, die die Sicht auf den Himmel blockiert. Es ist grau. Gegen Mittag reisst es auf. Ein schöner Spätsommertag taucht aus den Wolken auf. Garniert ist er mit kräftigem Westwind. Der mir entgegenbläst, als ich am Mittag mit dem Velo nach Schiers fahre. Die Gipfel tragen eine Wolkenkappe, die erst später verschwinden wird.
In Schiers und Grüsch ist heute Alpabzug. Ein Grossereignis für die lokale Bevölkerung. Nicht touristisch aufgepeppt und ausgeschlachtet. Sondern einfach ganz normal und mit Hühnerhautpotenzial. Rund 100 Stück Vieh wird vom Grüscher Älpli zu Tal getrieben. Mitten durch das Dorf Schiers und entlang der Nationalstrasse (also der Strasse neben der Nationalstrasse) bis nach Grüsch. Um 13.00 Uhr erreicht die Herde das Dorf. Schon 10 Minuten vorher hört man sie von weit oben. Die Schellen schellen um die Wette. Die Töne brechen sich an den Hängen und im Dorf an den Häusern. Das ist eben das Hühnerhautpotenzial. Als die Herde da ist, kommen zuerst die Geissen. Die von den Nachwuchshirtinnen und Hirten in Schach gehalten werden.
der Nachwuchs
herausgeputzte Geissen
Dann folgen die Rindviecher und Kühe. Wunderbar und mit viel Liebe zum Detail geschmückt. Das Vieh stammt aus den Kantonen Schwyz, Obwalden und Graubünden, wie der Schmuck den Zuschauern mitteilt. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm, verursacht durch die grossen Schellen. In der Luft liegt der Duft von gefüllten Babywindeln, denn die Tiere erleichtern sich etwas. Das Vieh ist müde, der Sabber läuft aus den Mäulern und fliegt umher. Die kleinen Mädchen und Buben im Zug halten tapfer mit und der Stolz ist ihnen anzusehen. Da man sich hier oben kennt, wird am Strassenrand gewunken, gejohlt und gegrüsst.
eine Einheimische
prächtig geschmückte Tiere
Wedel statt Hörner
diese Zuschauerinnen waren ziemlich baff
Bis Grüsch folge ich der Herde. Am Dorfausgang wird es spannend. Da der ganze Zug sich auf der langen Strecke fast aufgelöst hat, muss vorne gestoppt werden. Was erst mit vereinten Kräften gelingt. Die Kühe wollen weiter und lassen sich fast nicht aufhalten. Am Ende herrscht ein kleines Durcheinander. Aber der Kuhdamm hält 😀.
vereinte Kräfte am Kuhdamm Grüsch
Gwunderfitz
das Familienereignis des Jahres
Kurz darauf dürfen die Tiere den letzten Kilometer unter die Hufe nehmen. Beim Werkhof Grüsch werden sie auf eine Wiese getrieben, abgeschmückt, dürfen grasen, trinken und sich ausruhen. Aber wieso pausieren? Sofort gehen einige Kühe aufeinander los. Rangkämpfe werden unzimperlich ausgefochten. Einer Kuh fliegt der schöne Schmuck nach einem ruppigen Angriff um die Ohren. Einer anderen rammt die „Kollegin“ ihre Hörner in die Flanke. Das „Opfer“ springt aus dem Stand in die Luft und auf die Seite. Von wegen trägen Rindviechern. Da herrscht Action. Mittendrin bewegen sich die Hirtinnen und Hirten, die den Schmuck, Glocken und Schellen in Sicherheit bringen.
schöne Schellen und Worte
Patriotin
Abschmücken ist Schwerarbeit
fertig ist der Alpazug
Wehmut kommt da schon etwas auf
Sogar den Quotendeppen haben sie organisiert. Ein halbseniler Bündner mit einer Mercedesflunder (genannt Roadster) will in Schiers nicht kapieren, dass er auf der schmalen Strasse gegen eine Kuhherde, die zu Tale kommt, wohl einen schlechten Eindruck macht. Am Ende fährt er dann doch zur Seite. Knapp bevor ihm die erste Kuh in die Blechbüchse donnert.
Gabi ist im Flachland geblieben. Sie hat andere Pläne. Für mich ist das ideal um ein Projekt in die Tat umzusetzen das ich schon lange auf meiner Liste habe. Mehr dazu am Sonntag.