Vätternrundan – die Anwendung

Zur Einleitung schon mal das: es war perfekt!


Am Freitagabend stieg ich um 20.46 Uhr in Linköping in den Zug und fuhr nach Motala. Im Zug war ich vermutlich der einzige Velofahrer. Nicht mal ein Velo war mit drin. Was mich nicht mehr wirklich erstaunt hat. Auf der Website der Vätternrundan steht kein Wort von der Eisenbahn. Da basiert alles zu 100 % auf dem Auto. 


In aller Ruhe bereitete ich mich am Bahnhof auf den Start vor. Velo zusammenbauen, Kette schmieren und die Ersatzkleider packen. Der Parkplatz und die ganze Stadt war nun voll und es hat jede Menge andere Fahrerinnen und Fahrer, die sich für ihren Start bereitmachten. In manchem Auto schliefen sie im Kofferraum noch ein wenig. Gestartet wird in Gruppen, von Freitag, 19.30 Uhr bis Samstagmorgen, 05.00 Uhr. 


Gemütlich fuhr ich dann zum Startgelände mitten in der Stadt, füllte meinen Bidon und genoss die entspannte Stimmung. Tausende von Velos, tausende von Leuten. Aber keine Hektik, kein Gedränge. Herrlich. Und rund 10 Minuten vor dem Start fuhr ich in den angegebenen Startblock. Noch etwas warten und los ging es. Die ersten Meter waren schon ziemlich speziell. Da die Startgruppen nicht allzu gross (ich schätze so 50 Personen) sind, hat es auf der Strasse ebenfalls genügend Platz und es ist nie heikel. Nach ein, zwei Kilometern schloss ich mich einem Veloclub an. Das war praktisch. Erstens konnte ich vom Windschatten profitieren und zweitens hatten die das perfekte Tempo für mich. Bis zur ersten Rast bei Km 47 blieb ich mehr oder weniger immer hintendran. Gefragt habe ich mich dann, ob ein Schnitt von 28 km/h für 300 km schlau ist. Ich habe mit viel weniger kalkuliert. Dazu später mehr. 


Die Strecke führt über öffentliche Strassen, die meistens in der Fahrtrichtung für Auto gesperrt sind. Mitten in der Nacht hatte es eh keinen Verkehr. Am Strassenrand, das war überraschend, hatte es immer wieder ganze Gruppen die jubelten und klatschten. Die ganze Nacht durch. Einmal sogar morgens um 03.00 Uhr irgendwo mitten im Wald. Logisch, die Fans sind sicher für ihre Freunde da, die oftmals aus der Gegend stammen. Speziell war es trotzdem. Die Velorundfahrt ist hier ein riesiges Fest und die ganze Gegend ist im Ausnahmezustand. Total nett. Die Nacht war übrigens ziemlich dunkel, dafür kurz. Wegen dem ziemlich schlechten Wetter war es stark bewölkt. Das frass das Licht weg. Aber um 02.00 Uhr wurde es langsam hell und die Vögel zwitscherten. 


Wie auf Grund der Erlebnisse im Vorfeld vermutet, ist die Organisation einfach nur eines: TOPP! Es hat Platz, es hat mobile Veloständer bei allen Pausenstationen und es hat jede Menge freiwillige Helferinnen und Helfer, die alle total freundlich sind. Es hat genügend Essen und Getränke, selten einen Stau (respektive ich hatte immer Glück an den Ausgabestationen). Es ist schlicht der Hammer. 


Das Wetter war soweit ok. Ich schätze 80 % der Strecke war es trocken mit 13 bis 15 Grad. Gerade richtig. Meistens mit Seitenwind, der mit 30 km/h manchmal störend war. Vor allem weil er sich manchmal in Gegenwind verwandelte oder in Form von Böen daherkam. Ein knapp 30 km langes Stück führte uns durch einen Autowaschanlage die auf vollen Touren lief. Bloss die Bürsten fehlten. Das hat ja vielleicht geregnet. Braune Bäche ergossen sich auf die Strassen, die teilweise ziemlich unter Wasser standen. Der Sonnenaufgang ersoff förmlich. Da war ich froh, hatte ich meine Regenausrüstung mit dabei. Die Rennvelofahrer wurden klatschnass. Einige von denen sah ich beim nächsten Sanitätsposten zähneklappernd unter Wolldecken. Oder beim Verladen ihrer Velos auf einen Sattelschlepper bevor sie in den Bus stiegen. Da ist manch einer ausgestiegen. Später liess der Regen nach und wir durchfuhren noch den einen oder anderen Schauer. Das ging knapp ohne Regenschutz. 


Interessant war die Statistik, die ich im Ziel gesehen habe. Von  23’217 Angemeldeten gingen 19’642 an den Start. Als ich ankam, waren noch rund 5’000 unterwegs, wobei schon 1’021 unterwegs aufgegeben hatten. Die Ausfallquote von über 4’500 – oder fast 20 % – dünkt mich sehr hoch. Was sicher mit der schlechten Wettervorhersage zusammenhängt. Die Vätternrundan rühmt sich, und ist dafür bekannt, dass sie meistens bei perfektem Wetter stattfinden kann. Da war das Steigerungspotenzial dieses Jahr enorm. Ich fuhr 300 km in langen Kleidern. 


Topografisch ist es sehr flach, keine 900 Höhenmeter auf die 300 km/h. Die Höhenmeter gibt es bei kleinen Hügeln, die wir als Bodenwellen bezeichnen würden. Je nach Menge können die Dinger ziemlich selektieren. Vor allem mit fortschreitender Distanz. Bergauf- und bergabfahren ist bei einigen Mitstreiterinnen und Mistreitern offenbar eher heikel. Gefährlich war es aber nie. Bloss sah ich manch nettes Bild von schwankenden Gefährten bei der Bergfahrt. 


Die Raststationen sind ideal um den See herum verteilt. Die Teilstrecken sind zu Beginn länger (47 km) und pendeln sich dann bei 17 bis 38 km) ein. Das passt sehr gut. So kann man genügend essen, ohne es zu übertreiben, und läuft nie Gefahr, einen Hungerast zu erleiden. An zwei Stationen gab es warme Mahlzeiten (Fleischkügeli mit Härdöpfelstock bei der ersten Rast, Lasagne bei der Nummer zwei). Was überall vorhanden war, sind Hefebrötchen mit Zucker und Kardamom. Ich weiss gar nicht, wie viele davon ich gemampft habe. Bei der letzten Rast wurden die Dinger noch mit Honig gefüllt. Jedenfalls waren die Dinger, bedingt durch den Zucker, wahre Kraftpakete. Und leicht verdaulich. Begleitet von Bananenstücken war das jedenfalls meine Verpflegung für die Runde. Die Salzgurken, welche die Schweden dazu assen, fand ich gewöhnungsbedürftig. Das Salz nahm ich lieber über die Isostardrinks zu mir. Honigbrot mit Salzgurke? Brrr. Daran lag es wohl nicht, dass es am Strassenrand einige gab, die sich ihr Essen nochmals durch den Kopf gehen liessen. Das war vermutlich eher die Erschöpfung. 


Körperlich ging und geht es mir ausgezeichnet. Ich gab mir viel Mühe, genügend Pausen zu machen. Am Ende war ich gut 16 Stunden unterwegs, 11 Stunden pedalierend, und 5 Stunden pausierend. Und rund 2 1/2 Stunden weniger lang als ich berechnet hatte. Nach dem warmen Essen rastete ich jedes Mal 1 Stunde, und liess mich zum Beispiel bei der Station 1 kurz im Schulterbereich massieren. Das kann ja nicht schaden. Ansonsten machte ich jeweils so 15 bis 30 Minuten Pause. Ich hatte gar nicht das Bedürfnis nach mehr. Denn es tat mir nichts weh und ich war nie müde oder kraftlos. Es machte einfach nur Spass! Die letzten 100 km spürte ich natürlich langsam das Hinterteil. Aber auch nicht mehr als sonst nach langen Velofahrten. Und sonst? Schlicht nichts. Voll im Saft und bei Kraft. Die Freinacht merkte ich nach der Zielankunft mit einer gewissen Müdigkeite. Drum, ich komme zurück auf die 28 km/h, war ich am Ende ziemlich über meine Durchschnittsgeschwindigkeit erstaunt, die lag bei über 27 km/h. Mit meinem schnellen Velo, das aber klar kein Rennvelo ist und einige Kilogramm mehr auf die Waage bringt. Plus einer Gepäcktasche die schwerer war als manches Rennvelo. Ich bin zufrieden.


Interessant war zu sehen, wer sich da alles auf der Strecke tummelt. Beeindruckt haben mich ein paar wenige ältere Herren im hohen Alter. Diese Veteranen kämpften sich mit zum Teil ebenfalls fast schon historischen Velos über die Distanz. Zwei, drei gingen da über ihre Verhältnisse hinaus. Die Sanität hat sich an den Pausenstationen um sie gekümmert. Dann gibt es viele „Normalos“, so wie ich. Klar die Mehrzahl ist mit reinen Rennvelos unterwegs. Diese „Gümmeler“ haben nur minimal viel Material mit dabei. Der Männeranteil ist sicher grösser als der Frauenanteil. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass der Unterschied sehr gross ist. Dafür hat es jede Menge Veloclubs die hier mitmachen. Gruppengrössen von 20 bis fast 100 sind keine Seltenheit. Wenn so ein Hunderterclub heranrauscht ist das ein Gefühl wie wenn ein Zug kommt. Immer 2 FahrerInnen nebeneinander sausen sie vorbei. Auffällig war hier der grosse Frauenanteil in diesen Clubs. In einem Affentempo sind die unterwegs. Das wurde manchmal, je nach Strassenbreite und Platz (Gegenverkehr!), ziemlich eng. Die lassen die Pausen locker aus und düsen weiter. Energiegels müssen reichen. Immer nach den Verpflegungsposten kommt eine Strecke, wo man die leeren Verpackungen an den Strassenrand werfen kann. Die schnellsten Gruppen machen die ganze Runde unter 9 Stunden – inklusive Pausen. Für diese Gruppen gibt es eine spezielle Startzeit. So ab 11.00 Uhr Mittags überholten mich diese Teams, die zum Teil nach 05.00 Uhr gestartet waren. Da fühlst du dich wie ein Dreiradfahrer gegenüber einem Ferrari. Ausser am Schluss, da hat es eine Strecke, die ist von „Bodenwellen“ geprägt. Da überholt der fröhliche und entspannte Tourenvelofahrer mit Packtasche hintendran dann all die Cracks, die mit leeren Batterien vor sich hin drehen und wohl bei jeder Bodenwelle vor dem Mount Everest stehen. Ein wenig gemein, aber ein wenig Schadenfreude muss sein. 


Die 300 km fordern definitiv und wollen gut eingeteilt sein. Am Wegesrand sieht man immer wieder FahrerInnen, die über ihre Verhältnisse pedaliert sind. Die leiden dann. Auch bei den Pausenstationen liegen viele im Gras und schlafen mal eine Runde. Gegen Ende sah das manchmal eher aus wie ein Heerlager. Kreuz und quer lagen die Leute auf dem Boden. Das gehört hier dazu und macht den Anlass halt so speziell. So wie am Schluss in Motala die Leute ebenfalls kreuz und quer irgendwo herumliegen und sich erholen. Nach dem Zieleinlauf darf man nämlich erst nach einer Ruhezeit von 6 Stunden wieder Auto fahren. Die Polizei macht Kontrollen. Was sinnvoll ist. Das gäbe garantiert Verkehrsunfälle. Die Schweden sind da ziemlich schmerzlos. Die liegen ungeduscht in den Kofferraum und pennen. Im Auto, das an der Sonne steht. Das wäre nichts für mich. 


Leider sah ich auch zwei Unfallstellen. Am einen Ort mussten die Ambulanz zwei Velofahrer wegtragen, die offenbar in einen Unfall mit einem Sattelschlepper verwickelt waren. Und in Motala, ganz kurz vor dem Ziel, war auch die Ambulanz vor Ort und lud einen Velofahrer ein. Das sah nach einer verpassten Kurve aus. Auch ich war am Ende ziemlich vorsichtig unterwegs. Manch einer, den ich überholte, hatte einen ziemlich leeren Blick und ich denke, die Reaktionszeit wäre da arg eingeschränkt gewesen. 


Für mich hiess es nach der Zielankunft: Velo ins Auto laden, auf den Zug gehen, im Hotel herrlich duschen und dann genoss ich ein feines Weissbier und einen formidablen Znacht. Ins Bett ging es später auch und am Ende schlief ich 12 Stunden ohne Pause. Das Zmorgebuffett vorhin genoss ich definitiv und jetzt hole ich dann das Auto mit dem Velo. Und mache wohl noch eine kleine Ausfahrt mit dem Velo. Denn es geht mir wirklich ausgezeichnet. Ok, gleich nochmals 300 km müssen es heute nicht sein. Aber ein wenig pedalen bei dem mehr oder weniger freundlichen Wetter – warum nicht? Die Heimreise packe ich am Montag an. 


Und ob ich wieder mal mit dabei sein werde? Vorstellen kann ich mir das sehr gut. Bei nettem Sommerwetter dann bitte. Es gibt übrigens die Mecklenburger-Seenrunde. Die hat ein Fan der Vätternrundan vor wenigen Jahren gegründet. Dort fuhren diesen Mai, nach demselbem Muster wie hier, bereits rund 3’000 Velofans durch die Seenplatte. 


Hier ein paar Bilder. Da ich ja eher mit pedalen beschäftigt gewesen bin, machte ich bloss ein paar Fotos mit dem iPhone. Irgendwann ist es dann auch mal genug mit vielen Velos und Menschen. 

300 km in Bildern

Pausenverpflegung? Nicht wirklich, aber der Znacht im Restaurant Storan in Linköping war herrlich

So leer war es am Freitagmorgen noch in Motala





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